Der neue Mann – Festival-Grafiker im Multi-Kulti-Modus

Nicht nur, dass die Grafiker-Mannschaft in ein Ausweich-Quartier umziehen musste, weil der Saal im Stadthaus saniert wird. Wer die „Isola“ besuchte, eine stillgelegte Gründerzeitfabrik, in der die Festival-Dekorationen entstanden, konnte mit einigem Glück Amer bei der Arbeit zusehen.

Amer Al-azaoui ist Anfang 40 und ein irakischer Flüchtling, der – mit rund 200 anderen – in der Gemeinschaftsunterkunft im alten Krankenhaus Rudolstadt wohnt. Als die Vorbereitungen zum Rudolstadt-Festival begannen, fragte Annette Franz von der ehrenamtlichen Initiative Neue Nachbarn Rudolstadt, ob die Gruppe noch zwei Hände gebrauchen könnte. Tags darauf, pünktlich um zehn, stand sie mit ihm in der Tür.

Amer malt, schneidet Schablonen, plottet Texte auf Schilder oder Objekte, schneidet Stoff zu und bedient mit professioneller Rasanz eine der beiden Industrienähmaschinen. Was er eher nicht tut, ist sprechen. Zum einen, weil er nicht des Englischen und noch nicht des Deutschen mächtig ist, zum anderen, weil er ein zurückhaltender Typ ist, mit dem sich aber, nach kurzer Warm-up-Phase, prächtig mit Händen und Füßen kommunizieren lässt. Bei einem Gespräch mit seinem Zimmernachbarn, der schon bemerkenswert gut Deutsch kann, war zu erfahren, dass Amer ausgebildeter Werbedesigner ist und sein Vater in Bagdad eine Industrieschneiderei betrieb. Bei einem Bombenattentat wurde Amer schwer verletzt. Wegen der traumatischen Folgen verließ er den Irak und kam vor 10 Monaten, wie so viele, über die Türkei, Griechenland etc. nach Deutschland und vor einem halben Jahr nach Rudolstadt, wo er bis zur Klärung seines Aufenthaltsstatus zum Nichtstun verdammt ist. Wenigstens konnte er das Café Babylone ausgestalten, das die Helfer von Neue Nachbarn Rudolstadt mit den Flüchtlingen in der Unterkunft einrichteten.

Und nun das Rudolstadt-Festival. Und in seinem Vorfeld Arbeit bis spät in die Nacht. Freilich aber auch zusammensitzen, essen, trinken, reden. Die staunende Truppe erfährt, dass Amer leidenschaftlicher Tänzer ist, Bach und Mozart liebt und die Oud, eine arabische Gitarrenlaute, spielt. Seine hat freilich nicht bis Deutschland durchgehalten.

Was sie am Festival-Wochenende in der sonst eher beschaulichen Stadt erwartete, konnten die neuen Rudolstädter allenfalls ahnen. Gut möglich, dass Amer sich den Kopf zerbrach, wozu das, was er da gerade scheidet, malt oder näht, gut sein soll. Am Wochenende hat er es erfahren. Nicht ausgeschlossen, dass aus dem Fußballfan, der er jetzt schon ist, auch noch ein Fan des Rudolstadt-Festivals wurde.

(Mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Wolff, Chefgrafiker)

 

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